Nach der Einladung einer guten Freundin unserer Familie zu ihrer Hochzeit nach Taschkent haben wir erst mal den Atlas aufgeschlagen. Taschkent ist die Hauptstadt Usbekistans. Usbekistan liegt sozusagen an den westlichen Ausläufern des Himalajas – dem Tianshan-Gebirge in Zentral-Asien.
Die Möglichkeit mit dieser Einladung in ein Land zu reisen, welches man bei der vorsommerlichen Urlaubssuche so nicht auf dem Schirm haben würde, war wohl einmalig. Zudem gab uns die Braut namens Dilbar das Versprechen, das sie sich im Vorfeld der Hochzeit eine Woche um uns kümmern und mit uns das Land bereisen würde. Ein für eine Braut, egal wo auf der Welt, doch sehr ungewöhnlicher und für uns beeindruckender Freundschaftsbeweis eine Woche vor einem neuen Lebensabschnitt.
Wie es bei ärmeren Ländern sehr oft so ist, braucht man ein Visum, welches natürlich kostenpflichtig (ca. 160 € für 2 Erwachsene und 1 Kind) war. D.h. entweder Pass auf gut Glück zur Botschaft schicken und warten, dass sie auch wieder kommen (haben wir gemacht) oder selber nach Berlin fahren und es direkt probieren (geht auch nicht schneller, da man die mglw. auch nicht sofort wieder bekommt).
Schon die Einreise macht deutlich, was auch typisch für dieses Land ist, nämlich dass Bürokratie einen sehr hohen, selten nachvollziehbaren Stellenwert, einnimmt. So muss man alle Wertgegenstände und Bargeld genau auflisten, welche dann wiederum bei der Ausreise kontrolliert werden sollen, dass man sie auch ja wieder mitnimmt. Ebenso darf man die einheimische Währung Sum nicht wieder ausführen, warum auch, das macht keinen Sinn (Erklärung folgt)!
Ein typisches willkommen heißen, wie an einem „normalen“ Flughafen, ist in Taschkent leider auch nicht möglich, denn Menschen ohne Ticket dürfen das Flughafengelände nicht betreten. So wartete Dilbar, die Braut, mit ihrer Mutter davor. Da meine Mädels dringend auf die Toilette mussten, die es im Flughafen nach der Einreise nicht gab, suchten sie gleich eine in der Nähe auf. Beim Versuch mit einem Euro zu bezahlen, wurden sie wieder abgewiesen, da die Hygiene-Fachkraft die Währung nicht kannte. So borgten wir uns schnell 500 Sum. Warum erzähle ich das? Das Tauschverhältnis betrug ca. 1:6000 !!! D.h. mit den 500 Sum hat der Klo-Besuch ca. 12 Cent gekostet und die Klo-Frau hätte ein gutes Geschäft, was für eine Metapher, gemacht! Willkommen in einer anderen Welt!
Taschkent fühlt sich an wie eine mittlere deutsche Großstadt, allerdings im Jahre 1960. Die Nebaublöcke sind alle grau in grau, die Straßen und Fußwege sind kaputt und die Lada’s aus den 70- ern brettern hupend in Fünferreihen bei 3 Spuren durch die kalte Oktobernacht. Ok, das letzte ist jetzt wieder eher eine asiatische Eigenschaft…
Unser Hotel (Rohat) ist ein ziemlich neues und eigentlich ganz schick…für das, was wir erwartet haben. Erschöpft sinken wir in die Kissen.
Dilbar’s Eltern gelten in Usbekistan als vermögend, da sie ihrer Tochter das Studium in Deutschland ermöglichen konnten. Eingeladen zum Frühstück war ihre Wohnung in 5 min fußläufig erreichbar.
Als wir jedoch vor dem Block standen, waren wir etwas ungläubig, richtig zu sein. Es sah insgesamt ungepflegt aus, die Fassade bröckelte. Man könnte meinen, dass dieser Block aus den 50 ern nicht bewohnt wäre. Ihre Wohnungstür war vierfach gesichert und wir betraten eine Welt, die wir eigentlich nur aus der Erinnerung kannten. Alle Möbel in der winzigen 2- Raum-Eigentumswohnung (!) waren alt und abgenutzt aber gepflegt. Dilbar’s Mutter begrüßte uns mit großer Herzlichkeit. Sie war bereits 2 x in Deutschland und wir mussten für sie bürgen.
Alleine schon das schaffte automatisch ein Vertrauensverhältnis, aber davon unbenommen ist Latifa eine Seele von Mensch und das trifft auf ihre Familie sowie 95 % aller Usbeken zu, die wir kennengelernt haben. Für den Tee, den sie uns dann serviert hat, darf selbst das Leitungswasser nicht zum Kochen verwendet werden, es muss in großen Behältern extra gekauft werden.
Den ersten Tag besichtigen wir alle wichtigen Gebäude und Stadtviertel der Stadt, die allerdings auch überschaubar sind.
Nach einem Erdbeben Ende der 60 er musste die ganze Stadt komplett neu aufgebaut werden, der „große Bruder“ aus Moskau hat tatkräftig unterstützt und es nach russischer Bauart entsprechend einfach und geschmacklos in kurzer Zeit wieder aufgebaut. Seit dem wurde außer das Bankenviertel sowie ein Kaufhaus in Größe des Rathauscenters Dessau praktisch nichts mehr gebaut oder modernisiert.
Beängstigend oder auch beruhigend war beim Sightseeing das jeder U- Bahn-Zugang von der Polizei bewacht und tatsächlich auch jede Handtasche kontrolliert wurde, zudem verfügen die Ordnungshüter über einen Festnetzanschluss. Tja, Smartphones und Handys gab es, aber wohl nicht für die Ordnungsmacht.
Ein Spruch, den wir aufgeschnappt hatten, war, dass Usbekistan von oben so schön grün wäre, aber nicht wegen der vielen Bäume, sondern weil überall Polizei ist. Ob es dabei um den Schutz der Bevölkerung, das Ausspionieren der selbigen oder Terrorprävention ging, haben wir nicht erfahren. Welche der 3 Möglichkeiten unsere usbekischen Freunde für die richtige halten, kann man sich schnell denken, denn in der Öffentlichkeit wird prinzipiell nicht über Politik und Staat gesprochen (das erinnert uns stark an Kuba) und wenn doch, dann schaut man sich dreimal um und hält die Hand vor den Mund.
Nun sollten aber die Sehenswürdigkeiten, für die so mancher Europäer die Reise auf sich nimmt, in Angriff genommen werden – Registan in Samarkand und Bukhara mit seinen unzähligen Moscheen und Minaretten. Dies lässt sich alles entspannt mit dem Schnellzug erledigen, in dem man mit Erfrischungen und Gebäck sowie Dauerbedudelung mit der usbekischen Form von GZSZ bei Laune gehalten wird. Insgesamt ein toller Service, das gibt es bei der DB nicht! Allerdings muss man auf tränenreiche Abschiede auf dem Bahnsteig ebenfalls verzichten, Menschen ohne Fahrkarte haben auch hier keinen Zutritt zum Bahnhofsgelände.
Als erstes nehmen wir Samarkand mit seinem sagenumwobenen Registan ins Visier. Unsere Unterkunft (B&B Bahodir) in Sichtweite der 4 Türme war allerdings unterirdisch. Eine solche Absteige haben Marion und ich in fast 20 Jahren des gemeinsamen Reisens noch nicht gehabt. Alle Möbel Müll, Wäsche und Teppich muffig bzw. eigentlich auch reif für die Tonne. Der Wasserhahn ist mit einer Tüte hochgebunden, da er sonst abfallen würde, das WC nur hingestellt, Spülung nicht vorhanden. Alles ist versifft! Wir verbringen eine unruhige Nacht in unseren Klamotten, Marion hatte sogar Schüttelfrost, ihr ging es sehr schlecht, wovon, kann man sich denken.
Registan ist definitiv eine Reise wert, dieser von imposanten Gebäuden und Türmen umgebene Platz war eigentlich eine Koranschule (die es wohl heute immer noch ist) aber heute vor allem eine Sehenswürdigkeit und Museum, die vor allem auch kleinen Verkaufsständen mit Nippes im Innenhof eines Gebäudes als Einkommensgrundlage dient. Leider bietet sich bei näherer Betrachtung der Gebäude ein eher ernüchterndes Bild – der Erhalt dieser imposanten Gemäuer wird nur oberflächlich und schlecht ausgeführt.
Uns wurde erklärt, dass macht man hier so, nichts ist von Dauer und wenn wieder was ab- oder umfällt, dann wird es wieder geflickt! Naja, vielleicht nehmen wir Deutschen die Sache zu Ernst!?
Just als wir das Gelände wieder verlassen wollen, wird der ganze Platz gesperrt – eine verdächtige Tasche führt zu einem Großaufgebot an Polizei, Sprengstoffexperten und Panzerfahrzeugen. Irgendwie wirkt das Ganze aber irgendwie grotesk, da man das Ganze aus ca. 25 m beobachten kann, denn wenn da eine Bombe in der Tasche wäre und diese explodieren würde, wären auch viele Passanten gefährdet. Das ganze entpuppt sich aber sowieso als Fehlalarm!
Weiter geht es nach Bukhara (Buxoro), welches insgesamt interessanter, da vielfältiger ist. Hier hatten wir Glück mit der Unterkunft (Rumi)– sauber und ordentlich! Das gesamte Zentrum (zahlreiche Moscheen, Mausoleen, die Zitadelle und einige Museen) von Bukhara gehört zum Unesco-Weltkulturerbe und man kann alles fußläufig erreichen.
Hier „durften“ wir dann Zeuge der schon erwähnten Sanierungs- „Versuche“ werden. Als gelernter Maurer wurde einem dabei ganz übel – mit großen gipsähnlichen (oder war es tatsächlich Gips !?) Flatschen werden ganze Mosaik-Module an die Wand gepappt. An einigen Moscheen war dann auch das Ergebnis zu „bewundern“ – das ganze rutschte nach einiger Zeit entweder wieder runter oder fiel einfach ab.
Hier „durften“ wir dann Zeuge der schon erwähnten Sanierungs- „Versuche“ werden. Als gelernter Maurer wurde einem dabei ganz übel – mit großen gipsähnlichen (oder war es tatsächlich Gips !?) Flatschen werden ganze Mosaik-Module an die Wand gepappt. An einigen Moscheen war dann auch das Ergebnis zu „bewundern“ – das ganze rutschte nach einiger Zeit entweder wieder runter oder fiel einfach ab.
Als nicht gläubiger Mensch fand ich aber besonders beeindruckend mit einer fast schon spirituellen Wahrnehmung, die Quelle des Hiob (Mausoleum der Samaniden), die auch in der Bibel seine Erwähnung findet. Hier wurde ein kleines Mausoleum und Museum um diese Quelle gebaut. Praktisch jeder Mensch bedient sich täglich dieses „göttlichen“ Wassers, da ihm natürlich heilende und präventive Kräfte inne wohnen. Auch wir fühlten uns beim Trank entsprechend ergriffen und voller Demut gegenüber diesem heiligen Ort. Auch beeindruckt hat uns, dass dies kostenlos jedem, auch den „Ungläubigen“, zur Verfügung steht.
Prinzipiell sind die Usbeken jedem gegenüber sehr offen und herzlich. Die „Verkäufer“ sind nicht aufdringlich, alle üben sich in höflicher Zurückhaltung. Was man auch bemerkt ist die geschlechtliche Gleichbehandlung (auch das erinnert ein wenig an DDR). Ein Beispiel: Dilbar fochte jeden Tag mit den immer männlichen Taxifahrern einen harten Kampf um den Fahrpreis aus. Dabei ließ sie sich nie beirren oder beeindrucken – schlussendlich gaben immer die Taxifahrer auf und akzeptierten. Zudem herrscht in Usbekistan Kopftuchverbot! Und das in einem muslimischen Land, irgendwie bizarr, aber auch beeindruckend!
Auch stimmte uns die Chor-Minor-Madrasa, ein viertürmiges Gebäude, sehr nachdenklich, spiegelt es doch mit seinen 4 verschiedenen Türmen die 4 Weltreligionen als gemeinsame Säulen der Weltgeschichte gleichberechtigt ab – das was vor 200 Jahren als Versuch der Gleichheit aller Religionen errichtete Gebäude, ist leider auch heute noch keine Realität und wird es wohl gefühlt auch nie sein.
Zurück in Taschkent übergaben wir nun die Braut für die vorhochzeitlichen Rituale ihrer Mutter. Es sollte unsere 1. muslimische Hochzeit werden. Beginnend am Vortag bei Sonnenaufgang (gottseidank war schon Oktober!) mit einem Gottesdienst des Imans, an der ca. 200 Männer teilnahmen, begann das Ganze. D.h. ich musste schon früh morgens um 7:00 Uhr das Nationalgericht Plow (Reisgericht mit Hammel- und Pferdefleisch, Gemüse und Früchten) zu mir nehmen. Zum Glück half mir reichlich Tee dabei sowie mein netter Nachbar, Dilbars Cousin, das runter zu kriegen – 7:00 Uhr ist halt nicht meine Zeit für das Mittagessen.
Am Tag drauf folgte die Hochzeit, die im kleinen familiären Kreis, wobei jeder befreundete Ausländer automatisch zur Familie gehört, im Haus der Braut begann und dann mit viel Pomp und Protz in einem riesigen Saal mit ca. 400 Gästen abends Punkt 22:00 uhr endete (das Ehepaar verlässt den Saal = Ende). Hier wurden in Rekordzeit in ca. 4 h Unmengen getrunken, ca. 15 Gänge gegessen, Mill. von Fotos gemacht und natürlich komplett durchgetanzt. Auch hier spürte man wieder diese Freundlichkeit, die von Herzen kommt. Man hatte das Gefühl, dass die Handvoll Ausländer, die da waren, der Mittelpunkt der Veranstaltung wären.
Insgesamt haben wir uns super unterhalten, viel gelacht und unsere Meinung zum Islam (in Usbekistan) revidiert. Witziger Weise hatte uns Dilbar vorher erzählt, dass es keinen Alkohol auf der Hochzeit geben würde – Wein und Wodka flossen jedoch in Strömen.
Am nächsten Morgen ging es dann für uns schon 5:00 Uhr wieder los, Dilbar’s Mutter hatte eine Bergtour mit Klettern für uns organisiert. Wir waren gespannt, denn wir wussten nicht, was uns erwartet!
Zusammen mit ca. 25 Mitstreitern, überwiegend Russen, und einer deutschen Familie machten wir uns mit einem usbekischen „Bergführer“ am Busbahnhof auf den Weg in das Tianshan-Gebirge. Ca. 3 h dauerte die Fahrt. Dann entließ uns der Bus mitten in der „Pampa“.
Als erstes sammelten wir rund um ein schmales Bergflüsschen den Müll auf und das war nicht wenig. Während dessen fragten wir uns, was wir dann wohl mit dem Müll machen, als hinter uns die ersten schwarzen Rauchschwaden in den blauen Himmel aufstiegen. Der Müll, hauptsächlich Kunststoff, wurde einfach angezündet, die Glasflaschen wurden auf einen großen Haufen daneben abgelegt und ihrem „Schicksal“ überlassen. Nach dieser „russischen“ Entsorgung stiegen wir einen Pfad hinauf ins Gebirge. Ziel war nach ca. 1,5 h eine Kletterwand auf einem Plateau. 2 russische „Bergführer“ waren vor Ort und sicherten einige Kinder und Erwachsene.
Scheinbar wurden wir erwartet, denn sofort sollten wir uns einbinden und im Toprope klettern. Nachdem wir skeptisch das Tun der Beiden und ihre selbstgebauten (!!!) Sicherungsgeräte beobachtet hatten, zog sich Hella diskret zurück. Ausschlaggebend war wohl das ruckartige Ablassen der armen Russen, die dabei mit Schulter, Rücken oder Kopf immer wieder gegen die Wand prallten. Zudem konnten wir auch nicht sehen, an was denn die Toprope-Seile umgelenkt wurden. Mglw. steckte da oben nur ein rostiger Nagel in der Wand…Egal! Auf Leben und Tod! Wer war den schon mal in Usbekistan mit einem Haufen Russen klettern? Marion und Volker – und dann könnte ich das, wenn ich es überlebe, später ruhmreich meinen Enkeln erzählen!
Die 2 Routen waren schnell gemacht, der Umlenker sah (ein wenig) vertrauenswürdig aus und die deutschen Gäste wurden unter größter Kraftanstrengung ganz seicht die Wand herab gelassen. Abenteuerlich waren dann auch der Rückweg auf gefährlich rutschigen Hangwiesen sowie die abschließende Fahrt mit dem einzigen Sessellift im einzigen Skigebiet Usbekistans. Oben gab es dann das Angebot, mit 2 Pferden im Schnee zu reiten (die usbekische Skisaison mit 2 Pisten hatte noch nicht begonnen), was wir höflich ablehnten.
Den russischen Wodka als Krönung des erfolgreichen Tages nahmen wir dann allerdings gerne in Anspruch. Zu guter Letzt durften wir dann gemeinsam den Bus wieder anschieben. Für uns erschien das erst mal unmöglich – wie soll man den einen Reisebus wieder anschieben? Unsere Mitstreiter blieben ganz ruhig und brachten sich in Position und siehe da! Das geht! Und schon waren alle wieder drin und es ging heimwärts.
Damit ging wohl eine der aufregendsten Reisen, die wir in 20 Jahren gemeinsam erlebt hatten, zu Ende. Derart viele doch sehr intensive Erfahrungen lassen mich heute, ca. 1,5 Jahre später, diese Zeilen in einem Guss schreiben, als wäre es gestern gewesen.
Allerdings waren wir sehr dankbar, wieder deutschen Boden unter unseren Füßen zu spüren und auch wenn es abgedroschen klingt, überhaupt in diesem Land geboren worden zu sein. Denn für uns war diese Reise in die gefühlte eigene Vergangenheit damit beendet und wir wieder im hier und jetzt, während viele unserer alten und neuen usbekischen Freunde in ihrem Land und der für uns gefühlten Vergangenheit weiter jeden Tag um eine besseres Leben kämpfen müssen.