Sardinien – ein heißer Ritt – 2004

Gibt es einen Kletterhimmel? Nach den letzten Fahrten (Mallorca, Marokko, Südafrika, Norwegen) waren wir uns ziemlich sicher.
Die Hitze ist schier erdrückend, als die Fähre im Hafen von Olbia anlegt. 8 Stunden mit der Fähre und 11 mit dem Auto liegen hinter Marion und mir. Doch das erwartungsvolle Hinausgleiten aus dem Bauch des Schiffes in die Dämmerung Sardiniens lässt uns die Anstrengung schnell vergessen. Nach einer Stunde erreichen wir unseren angestrebten Zeltplatz am nordöstlichsten Zipfel der Insel. Unsere nächtliche Erkundungstour endet mit einem herrlichen Bad im 25 °C warmen Wasser des thyrennischen Meeres.

Kleine Felsinseln, dem Ufer unweit vorgelagert, durch Wind und Wasser zu fantastischen Gebilden geformt, laden zum entspannten (Hin)schwimmen ein. Durchaus sind diese auch zum romantischen tété a tété zwischenmenschlicher Beziehungen geeignet. Der nächste Tag erwartet uns sonnig und für einen Deutschen doch mit einer etwas unnatürlichen Hitze; 30°C zeigt das Thermometer um 10 Uhr am Vormittag (!). Wollten wir hier nicht eigentlich klettern

Wild entschlossen fahren wir zum Capo Testa, dem nördlichsten Punkt.

Der Kletterführer leitet uns aufgrund eines nicht ganz klar formulierten Satzes in die Irre und so nehmen wir erst einmal ein kühlendes (?) Bad. Nach einigen Diskussionen erreichen wir schließlich den Kletterfelsen Cala Spinosa, der sich in einer das Auge verwöhnenden Form zeigt. Runde Aushöhlungen, die in hand- und hautfreundliche runde Kanten übergehen, in allerbestem festen Granit.

Die Kletterei ist fantastisch, jeweils nach 3 Touren springen wir ins Meer. Zum Abschluss eine verzwickte Reibung, die alles abfordert. Der Schweiß läuft in Strömen, allerdings nicht vor Angst, denn die Routen sind allesamt bestens mit Inox- Bohrhaken abgesichert. Das Thermometer zeigt 36°C im Schatten! Da sollten Leute, die T-Shirts tragen, auf denen das Wort EXTREM vorkommt, auch eine 6b Reibung hinkriegen. Geschafft! Nach 3 Stunden sind wir wieder am Auto. Völlig platt machen wir uns auf zum nächsten Zeltplatz an der Nordwestküste.

Das Fahren auf der Insel gestaltet sich sehr angenehm, perfekt ausgebaute Strassen, und für den verhinderten Formel 1- Fahrer, eine Vielzahl von Serpentinen, die einen bei entsprechender Geschwindigkeit ganz schön in die Sitze drücken. Die Abende kühlen sich kaum merklich ab, mindestens 26°C sind eigentlich immer. Das nächste Gebiet (Dimensione verticale) führt uns ins Landesinnere, in die Nähe von Sassari. Wieder leitet uns der Führer falsch, da wir aus der verkehrten Richtung kommen. Ein Feldweg wird zur Strasse erhoben und wir suchen uns dumm und dämlich.

Die Hafenstadt Alghero an der Westküste steuern wir als nächstes an. Etwas Kultur soll uns von der anstrengenden Kletterei ablenken. Allerdings gibt es auf der Insel nichts Spektakuläres, die Natur hat noch am meisten zu bieten. Eine Vielzahl von Höhlen, z.B. die Grotta di Nettuno (652 Stufen zum Meer) in Alghero, und beeindruckende Felsformationen, wie der „Bär“ über dem Capo d´Dorso bei Palau, sind für uns die erstrebenswerteren Ziele.

Schließlich gibt es auch hier ein spektakuläres Klettergebiet, Casorotto am Capo Caccia. Verwegen steige ich in eine 7b+ (Gandalf), die mich vom Einstieg weg kontinuierlich abwirft. Aber das Ziel ist auch nicht der Durchstieg, sondern ein geiles Kletterbild, wie es der Führer in dieser Route verspricht. Völlig fertig komme ich zum 2.Haken und Marion macht ein paar Bilder.

Da die Sonne jetzt in die Wand scheint, klettern wir schnell noch 2 Touren, bevor es unerträglich wird. In dem lichtdurchfluteten Gemäuer sind jetzt knapp 43°C. Nichts wie weg hier!
Die Strände und Buchten auf Sardinien sind phänomenal und man fühlt sich wie im Paradies. Man findet immer ein ruhiges Plätzchen, wo man ungestört ist, den warmen Wind, das klare warme Meer und die herrliche Umgebung in sich aufsaugen und vollends genießen kann. Die Costa Verde ist so ein Ort. Früher ein Wallfahrtsort für die Hippy- Generation, ist es jetzt ein beschauliches Naturschutzgebiet.
Auf den Zeltplätzen und in den Restaurants hat man des Öfteren den Eindruck, dass auf Sardinien einheimische Straftäter mit ausländerfeindlichem Hintergrund zur gemeinnützigen Arbeit in denselben verurteilt werden, um deren Umerziehung in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber das ist eher die Ausnahme. Insgesamt sind die Sarden ein freundliches Völkchen, die sich jedoch im Straßenverkehr von den Gepflogenheiten ihrer italienischen Nachbarn nur unwesentlich unterscheiden. Fußgängerüberwege sind für die Benutzer ein gefährliches Pflaster und vom Einfädeln haben sie auch noch nie was gehört. Aber vielleicht sehen wir das auch viel zu verbissen.
In Buggerru an der Südwestseite ist unser nächster Campingplatz und man kann sagen, dass sich die Örtlichkeiten auf der ganzen Insel in einem sauberen und gepflegten Zustand befinden. Auch auf den Zeltplätzen der unteren Kategorie ist alles perfekt, nur sollte man die zeltplatzeigene Küche auf solchen meiden, der Gaumen wird es einem danken.
Bei Masua befindet sich eine sehr schöne Kletterwand (Castello dell’iride). Das Bild im Führer habe ich zu Hause minutenlang mit offenem Mund angestarrt, da müssen wir hin! Da die Sonne erst gegen 16.00Uhr um die Felsen schleicht, genießen wir das Sonnenbad mit zwischenzeitlichen Bade- und Schnorcheleinlagen. Ungeduldig blicke ich ständig hinter mir nach oben, aber die Sonne erhitzt noch immer den Fels. Endlich ist es soweit, in 15 Minuten sind wir am Einstieg der leichten Routen bis 5c. Dann stehen wir vor dem atemberaubenden Felsen der Supergulp (5c+). Mit wie von oben senkrecht in die Wand tausendfach eingebohrten Löchern, in superfesten Fels, lädt sie zum steigen ein. Selbst die kleinste Schuppe hält das Gewicht, ob Seitgriff oder Minitritt. Ein genialer Weg! Leider ist schon nach 25m Schluss. So könnte es stundenlang bis in den Kletterhimmel weiter gehen!
Die großen Städte meiden wir fast immer, aufgrund der Hektik und der stressigen Fahrerei. Cagliari ist eine davon, nur von weitem sehen wir ihre Silhouette. Villasimìus am südöstlichsten Zipfel ist da schon eher eine Reise wert. Malerisch, mit verträumten Gassen und kolonialem Ambiente lässt sie uns von vergangenen Zeiten träumen.

Am Capo Carbonara warten wir wie üblich in der Sonne brutzelnd auf die Abkehr der Sonne von der begehrten Wand (Ti- Mi- Ama). Um 3 steigen wir in die erste Route. Reibungskletterei an fantastischem Granit. Wieder können wir zwei 6b`s Onsight klettern. Im Rücken rauscht die Brandung an die Felsen. Dieser Urlaub könnte ewig dauern. So muss sich Gott (welcher auch immer) das Kletterparadies vorgestellt haben!

Marions Zeitplan lässt bei 10Tagen und der Umrundung der Insel kein großes Verweilen zu. Cala Gonone, an der Ostküste gelegen, wartet mit einem 4- Sterne- Zeltplatz auf, es gibt auch keinen anderen.

Am nächsten Morgen besteigen wir unser gemietetes Kanu und paddeln mit der Kletterausrüstung zur sagenumwobenen Cala Luna. Die Vorfreude lässt einen in der Verzückung, ähnlich in dem berühmten und verfilmten Roman „The Beach“, verharren. Jedoch stellt sich nach der einstündigen Fahrt die Realität ein. Zu Hunderten liegen die Sonnenanbeter in der verträumten Bucht, die sich mit dem Motorboot äußerst „untrekkingmäßig“ hierher kutschieren lassen haben. Die Klettergrotten sind von Touristen belagert und nur 2 verwegene Seilschaften wagen die schweren Routen inmitten der Leute. Wir nehmen die links, etwas erhöht, liegende Wand und sind ungestört. Der Ausblick und der Kalk sind wie immer Klasse. Prinzipiell bietet die Insel in jedem Klettergebiet sehr guten abwechslungsreichen, in sich einzigartigen Fels in Granit und Kalk. Eine geniale 6a+ an Eisenzacken (Konkrezionen) zum Abschluss lässt mich ganz schön ins Schwitzen kommen, da mich am Ausstieg ein 5m Runout zum Umlenker erwartet. Da wir bisher immer mit Ringabständen von max. 3m zu „kämpfen“ hatten, ein ungewöhnlicher Adrenalinstoß. Da wussten wir allerdings noch nicht, was uns auf der Rückfahrt erwartet. 3m hohe Wellen lassen uns ständig zwischen ihnen „versinken“. Uns rutscht das Herz in die nasse Hose. Angestrengt versuchen wir, die Wellen so frontal wie möglich zu erwischen, um seitlich nicht zu viel Wasser in das Boot zu lassen. Marion will näher zum Ufer, jedoch sind die Wellen da noch höher und die Brandung unberechenbar.

Ohne Unterbrechung paddeln wir, als würde uns Nessie im Nacken sitzen. Die 5,5km werden zum ungewollten Abenteuer. Je näher der Strand von Cala Gonone kommt, desto höher schlagen die Wellen. Immer wieder versuchen wir, bevor sie brechen, sie zu überwinden. Durch die Rücksäcke hatte es Marion nicht geschafft, die Knie in das Boot zu bekommen, und damit den wasserdichten Überzieher anzubringen. Das Boot ist viertelvoll, als wir auf den Strand zusteuern.

Bewegungslos starren die am Strand liegenden Touristen auf unsere Manöver. 10m vor dem rettenden Ufer geraten wir durch herausragende Felsen in Schräglage und das Kanu seitlich der Wellen.

Sofort springt Marion heraus und wird gleich wieder umgerissen. Das Boot ist jetzt randvoll und ich schaffe es irgendwie mit dem wild um mich schlagenden Paddel gerade auf den Strand zuzuhalten. Ich wäre sowieso nicht rausgekommen, da ich zum Einsteigen schon eine halbe Stunde gebraucht hatte. Mühevoll ziehe ich das Boot auf den Strand. Das nennt man Abenteuerurlaub! Mein Unvermögen nach 2 Kanutrips (Polen und Norwegen) ist immer noch beachtlich, um der Sache einen gewissen Kick zu geben. Da ich dieses Jahr noch keine alpine Unternehmung hatte, war dies bis dato mein einziger richtiger Adrenalintrip. Für einen Sportkletterurlaub doch schon erstaunlich.
Den berühmtesten Felsen, die Aguglia in der Cala Goloritzè, müssen wir leider auslassen. Der leichteste Aufstieg auf die sächsisch anmutende Felsnadel ist 6b+ (sächsisch VIIIb) und der Weg ist teilweise selber abzusichern. Die Länge beträgt 165 m, die Schwierigkeiten sind permanent und der Zustieg dauert mind. 1,5 h. Angesichts der Temperaturen sind unsere Erfolgsaussichten gering und der Spaß würde sich wohl in Grenzen halten. Sardinien bietet fast nur Aufstiege ab 5a (sächsisch VIIa) und die Masse liegt bei 6a (sächsisch VIIIa) aufwärts. Von daher ist sie für Anfänger weniger geeignet und man sollte prinzipiell eine gute Kondition mitbringen. Das Leben ist relativ teuer, die Zeltplätze in der Nebensaison ab 6 € (ein Stern) pro Person, Zelt und Auto extra. In Pizzerias kann man für 10 € mit Getränk sehr gut speisen, in Restaurants ist unter 20 €/ Person nichts zu machen. Allerdings ist das Ambiente vieler Gaststätten in der Nähe des Meeres dermaßen überwältigend, dass man oft den Vorzügen eines nicht selbst zubereiteten Mahls den Vorrang gibt.
Der Kurztrip angesichts der Reisestrapazen neigt sich dem Ende zu. Noch einmal wollen wir den fantastischen Fels berühren. 40 km vor Olbia in der Nähe von Posada vollbringen wird unseren letzten „Kletterstreich“. Eine niedliche kleine Wand mit unspektakulärem Fels. Gefühlvoll genießen wir jeden Zug. Eine 6a+ bildet das Ende unserer klettertechnischen Umrundung Sardiniens. Die Route wirft mich erbost ab. Eine vorhergehende Seilschaft aus Österreich gibt ihr mind. die Schwierigkeit 6b+. Ein harter Seitzug und dann ein genialer Aufrichter an abschüssigen Leisten. Das war`s! Etwas zaghaft bitte ich Marion: noch eine Tour! Doch sie winkt ab und blinzelt mich böse an! Na gut, es ist Schluss!
Widerwillig fahre ich in das Heck des Schiffes. Nach einem heißen (was auch sonst!) Tag am Strand malten wir uns unsere Finca mit Meerblick in ausschweifenden Beschreibungen nach dem Lottogewinn (spielen wir gar nicht!?) aus. Bedrückt stehen wir auf dem Heck der Fähre und langsam entfernen sich die Lichter der Stadt. Wir fühlen uns wie auf einer Galeere. Die Silhouette der Felsküste bildet im Mondlicht ein unwiederbringliches Bild. Schwach vermuten wir die Felsen, an denen wir zuerst geklettert sind. Ich bin niedergeschlagen. Was für eine wundervolle Insel. Das Paradies? Zum Glück gibt es in 2 Wochen wieder eine Kletterfahrt nach Sachsen. Meine Hände sehnen sich nach sächsischem Fels. Unser Paradies! Leise verschwindet der Horizont mit den letzten Felsen im Meer.