Der Satz kommt nicht von ungefähr, wenn man die Bekanntschaft eines etwas älteren Altvorderen machen durfte, der einem sympathisch ist und das Ganze auch noch auf Gegenseitigkeit beruht. Die Rede ist von Jochen (Josh) Koepernik, mit dem mir die Ehre zu Teil wurde, eine Woche lang zu klettern, sein Seil zu tragen und auch sonst irgendwie nützlich zu sein. Alte Haudegen sind rar, darum nutzte ich einst (vor 4 Jahren) meine Chance, ihn kennen zu lernen, als ihm Hanna Koepernik (Mutti von Josh) in der Pfalz meine Dienste als „Sicherungsneger“ anbot. Josh wohnt übrigens in Stuttgart und braucht ca. 1,5h in die Pfalz.
Eine für mich bedeutsame Freundschaft hat sich daraus entwickelt, die uns circa einmal im Jahr gemeinsam an die Felsen führt. Er lobt immer meine Motiviertheit und meine nie enden wollende Kletterlust, die es auch ihm leicht macht, die Zeit in den Felsen gemeinsam zu verbringen. Josh gehört für mich zu den Kletteridolen der ersten Stunde. In der Kletterschule von Egon Schmidt geschmiedet ging er schnell seinen eigenen Weg und gehörte zu den Besten, die Dessau je zu bieten hatte. Dazu als kurze Anekdote: Anfang Juni dieses Jahres kletterte Josh eine IXb am Gipfelbubenkopf mit 2 zusammen getapten Fingern (da er sich 1 Jahr vorher in einem Finger eine Sehne angerissen hatte)!!! Für jemand der wie ich, sich das meiste selber aneignen musste, ist eine solche Beziehung ein unermesslicher Informationspool, Motivator und eine Schule auf dem Weg zu höheren Graden.
Doch genug geschleimt! Nach dem Korrektur lesen hatte mich Josh schon darum gebeten, es nicht zu übertreiben. Doch meine Dankbarkeit kennt keine Grenzen! Eine wundervolle Woche in der Dessauer Hütte mit genialem Wetter (für Nordwände) erwartete uns. Am ersten Tag begleiten uns weitere „Götter in kurzen Hosen“: Christoph Bode (Egon Schmidt – Schule) und Klaus Paul, ein bekannter Erschließer des Ostharzes. Eine VIIc an der Höllenwand zum Anfang lehrt mich gleich das Fürchten, denn an der Schlüsselstelle hänge ich wie ein Boxer in der 12. Runde: Ich komme nicht hoch! Nur mit Benutzung des Ringes gelingt mir diese Stelle.
Das fängt ja gut an, denke ich mir und leichte Resignation macht sich breit. Doch Jochen tut es als schwere Einzelstelle ab, in der große Leute wie ich immer Schwierigkeiten haben würden. Dieser hoffnungslose Optimist!
Um ein paar Gipfel zu sammeln machen wir dann ein paar leichtere Routen im VI. Grad und zum Abschluss die Rostige Wand (VIIc) am Friensteiner Zacken. Eine wunderbare Genießertour, die allerdings voraussetzt, dass man dies auch beherrscht, da die Absicherung im unteren Teil nur sehr vage ist.
Joshs Gesundheitszustand ist noch sehr instabil, er war gerade erst 3 Wochen wegen einer starken Grippe krankgeschrieben. Und so sammeln wir am nächsten Tag nur ein paar Quacken am Pfaffenstein.
Der Mittwoch startet sehr geheimnisvoll. Josh ist sehr still und quält sich mit den allmorgendlichen Auswirkungen der immer noch existenten Erkältung herum. Ich spüre die Spannung, die ihn umgibt. Ohne viele Worte und ohne Fragen meinerseits machen wir uns auf den Weg. Das Ziel wird nicht definiert, Josh ist voll konzentriert und sagt nur, dass eventuell, je nach Gesundheitszustand beim Eintreffen am Einstieg, eine Aufgabe auf uns warten würde. Oh Gott, eine Aufgabe. Nach Joshs Definition heißt das, es wird schwer, es wird lang und es wird ernst! Ein Klassiker, so hoffe ich inständig und bin mir dessen aufgrund seines Aufhebens ganz sicher. Plötzlich stehen wir vor dem Rauschenstein, unwissend der Wege, die sich daran befinden, blicke ich ehrfürchtig nach oben. Josh wird noch stiller und er holt den Führer hervor. Ein kurzer Blick, den ich erhaschen kann, fällt auf einen absoluten Klassiker des Elbsandsteingebirges. Die Gondakante(VIIIa) ist an diesem Felsen, erwähne ich beiläufig. Die „Aufgabe“ nimmt Gestalt an, denn jetzt wird mir klar, worin unser Tagesziel besteht. Josh sagt keinen Ton und bestätigt damit meine Vermutung. Ähnlich dem Anblick einer schönen Frau brodelt es plötzlich in meinem Magen und kindliche Verzücktheit überwiegt meine Aufgeregtheit. Josh legt sich in den Schatten, analysiert die Route, erhebt sich, sortiert seine Ausrüstung und legt sie an.
Voll konzentriert bewegt er sich vom Einstiegsüberhang empor. Nach ca. 18m der erste Ring. Durchschnaufen! Mein Hals wird steif! Geräuschlos gleitet das Seil durch meine feuchten Hände. 40m. Der erste Stand. Ich mache komische Verrenkungen um meine Halswirbel wieder zu beleben. Josh fragt nach Traubenzucker. Habe ich nicht, sage ich. Dann bring mir ´ne Bemme und ´nen Appel mit, bittet mich Josh. Mein Herz klopft in der Halsgegend, als wollte es versuchen diesen Körper auf dem kürzesten Weg zu verlassen. Am 1.Ring denke ich, war doch gar nicht so wild, doch jetzt wird es ernst. Senkrechte ausdauernde Kletterei an kleinen Griffen folgt. Noch 3m bis zu Josh. Ich stöhne und ächze. Verzweifelt stemme ich mich gegen den Seilzug, der stärker wird, doch es nützt nichts, ich muss die Arme ausschütteln und setze mich hinein. Schnaufend komme ich bei Josh an. Er vertilgt in aller Ruhe seine Wegzehrung und auf gehts! Stand, höre ich es rufen. Erleichtert mache ich mich um des schnellen Vorsteigers an’s Werk. Eine herrliche Henkelkante erwartet mich.
Nach 30m Metern, am Ende einer kleingriffigen Wand über dem 3. Ring, gerate ich ins Stocken. Ratlos keuchend sehe ich in Joshs grinsendes Gesicht. Henkel sind alle, jetzt kommt die Schlüsselstelle, nach ca. 60m senkrechter Kletterei! Verwirrt lasse ich mich ins Seil plumpsen. Das der Gonda hier so eine Gemeinheit „eingebaut“ hat!? Verzweifelt versuche ich alle Techniken, die ich in den letzten Jahren erlernt (zu glauben) habe, anzuwenden. Prustend erreiche ich in aussichtsloser Körperhaltung den Seitgriff. Fuß hoch. Noch ein Seitgriff.
Die Augen verdrehend klemme ich in der Ausstiegsrinne. Geschafft! Am lachenden Josh vorbei steige ich weiter zum Gipfel. Bei mir angekommen entfährt Josh ein das Mark erschütternder Gipfelschrei. Wie oft stand er voller Erfurcht unter der Wand und traute sich nicht. 7 oder 8mal. Heute hat er es vollbracht. Eine Bergfahrt, wie man sie sich erträumt. Und ich durfte dabei sein. Danke Josh! Völlig entspannt genießen wir noch eine VIIb an einem der Wachtürme. Was für ein Tag!
Der Nächste beginnt ähnlich „spektakulär“. Wir hängen beide einen Sack auf, an der Steinschluchtwand, einer unbedeutenden Quacke in der Nähe der Schrammsteinbaude. Der NW – Kamin (I) ist so grün und unüberwindlich. Lachend besteigen wir den Gipfel über eine „leichtere“ IV.
Der Name „Hauch des Satans“ (VIIIb, Schießgrundscheibe) sollte eigentlich für sich sprechen, doch er hatte auf Joshs Antrieb keinen Einfluss. Eine ¾ – Stunde betätigt er sich als Ausgleichsgewicht für meine schwachen Beine. Deswegen also hängt der Ring so tief, stellen wir erstaunt fest. Doch plötzlich knackt Josh in einer Abfolge mir nicht nachzuvollziehender Bewegungen und eines unwirklichen Kraftaktes die „unmöglichen“ 2m. Und wie soll ich da hochkommen, lautet meine entmutigte, keiner Antwort bedürfende, Frage? Am Gipfel bekomme ich eine symbolische Spritze hinter meinen Namen gemalt. Soll heißen, der Typ musste halb hochgezogen werden. Die Fingerkuppen meiner Hände leuchten rot und man kann leicht den Skelettaufbau der menschlichen Hand nachvollziehen. Zu meiner Beruhigung lesen wir, dass Josh die 6.Begehung in 24 Jahren geholt hat und dass er sie mindestens als VIIIc einschätzt! Gott sei Dank, VIIIc kann ich sowieso noch (Optimist!) nicht klettern.
Die Tage fliegen vorbei. Wir sammeln Gipfel und Wege bis VIIIb. Am Ende jeden Tages bin ich am Ende meiner Kräfte. Den Abschluss bilden am Freitag die Zwillinge am Pfaffenstein mit „Zwischen Himmel und Erde“ (VIIIb). Ein toller Weg mit der Schlüsselstelle am 1.Ring und kleinen Griffen an einer leicht überhängenden Wand. Juchzend nimmt Josh mich am Gipfel in Empfang. Er ist „satt“. Zufrieden zurückblickend hat er sich einen Traum erfüllt und wundervolle Klettertage erlebt. Bei mir ist der Stellenwert dieser Woche gar nicht hoch genug einzuschätzen. Sicherlich der schönste meiner sächsischen Aufenthalte.
Die Gewissheit, mit Josh bald wieder „in die Felsen“ zu fahren gibt mir einen ungeheuren Schub und ist ein Antrieb für mich. Sehnsüchtig gleiten die Felsen in Gedanken an mir vorbei. Es ist schön, den Göttern so nahe zu sein.